Dennoch gab es am Rande des
Gipfeltreffens zwei Toppersonalien:
Der kantige Horst Zimmer (62), dem
es als omnipotentem Chef des Ge-
schäftsbereichs Lkw Europa immer
ziemlich egal war, wer unter ihm den
Nutzfahrzeugvorstand abgab, verläßt
den Konzern.
Zimmer geht aus gesundheitli-
chen Gründen im Zenit seiner Kar-
riere: Die beiden neuen Modellrei-
hen Actros (schwere Lastkraftwagen)
und Atego (Verteiler-Lkw) sind im
W
er etwas ist oder sein möchte
bei Daimler-Benz, der achtet
auf die Kleiderordnung; man trägt
Blau im Schwabenkonzern, hell am
Fließband, dunkel auf der Führungs-
ebene. Und wer den Entscheidungsträ-
gern im Vorstand ganz nahe ist, der
darf sich OFK-Mitglied nennen, der
gehört zum oberen Führungskreis des
Hauses.
Ende Januar zogen rund 1000 der
1400 OFK-Mitglieder in die Stuttgar-
ter Liederhalle ein, viele dunkelblau
gewandet und alle gespannt wie Chor-
knaben vor einem großen Auftritt.
Jürgen Schrempp (53), der Chef,
hatte gerufen, und er verlangte Man-
nesmut: ,,Dies ist unsere gemeinsame
Veranstaltung. Nutzen Sie sie! Fordern
Sie uns! Grillen Sie uns!"
Für Spannung bei dem Treffen am
27. Januar war gesorgt: Nie zuvor la-
gen Markterfolg und Mismanagement
so nahe beieinander; nie zuvor rankten
sich so viele Gerüchte um Vorstände;
nie zuvor hatte ein ehemaliger Vorsit-
zender so mit dem Unternehmen abge-
rechnet wie jetzt Edzard Reuter (70)
in seinen Memoiren (siehe Kasten
Seite 16).
Was sagt Schrempp intern zur
peinlichen Elch-Panne, was zum ver-
unglückten Smart? Welche Signale
sendet der Vorstandschef in Richtung
seiner Kollegen Jürgen Hubbert (58,
Pkw-Geschäft) und Dieter Zetsche
(44, früher Entwicklung, heute Ver-
trieb), die für das Debakel die Verant-
wortung tragen?
Der Mannschaftskapitän ließ sich
nicht aus der Reserve locken: ,,Wir sit-
zen Ihnen hier als Team gegenüber",
verkündete Schrempp. Ein größeres
Revirement, so es denn dazu kommt,
bleibt bis nach der Hauptversammlung
am 27. Mai tabu.
H.-G. O
E
D
Markt, und seine Division soll 1998
zum erstenmal wieder schwarze Zah-
len schreiben. Als Nachfolger wird der
erste Mann des Bereichs Lkw-An-
triebsstrang, Klaus Maier (44), ge-
handelt.
Durch rechtzeitige Pensionierung
entzieht sich Peter Fietzek (59), Be-
reichsvorstand und Asien-Beauftrag-
ter, den Folgen der Reorganisation in
Fernost.
Künftig regieren in der Region
vier ,,Chief Executives" (Japan, In-
dochina, Asean, China), die jeweils
das gesamte Konzerngeschäft von
Flugmotoren bis Finanzdienstleistun-
gen verantworten.
Auf der Veranstaltung selbst ging
es dann zunächst um einen Mann, der
seit knapp drei Jahren zu internen
Daimler-Foren nicht mehr eingeladen
wird: Edzard Reuter. Das Wirken sei-
nes Vorgängers kann Schrempp als
D A I M L E R - B E N Z
Das Windsor-Syndrom
,,Fordern Sie uns! Grillen Sie uns", appellierte Konzernchef Jürgen
Schrempp an seine Führungskräfte. Auf dem Topmanagement-Meeting
konterte er auch die Attacken seines Vorgängers Edzard Reuter.
MANAGER MAGAZIN 3/98 ·
S. 14
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Manager Magazin 3/98
Blau
Gelb
Rot
Schwarz



durchaus segensreich empfinden: Die
Kurzkritik an Reuters Buch ,,Schein
und Wirklichkeit" (,,Wir lehnen ein
solches Vorgehen entschieden ab")
trug dem Vorsitzenden den größten
Beifall ein. Die kritische Beschäfti-
gung mit dem alten Regime ist längst
zum sozialen Kitt im affären- und kri-
sengeschüttelten Konzern geworden.
Noch einmal betonte Schrempp
deshalb den Kulturwandel: ,,Die Zei-
ten, die Inhalte, der Umgang miteinan-
der haben sich geändert ­ und damit
auch die Form dieser Veranstaltung.
Wir wollen keine Verkündigung von
der Kanzel." Und dann ganz deutlich
die inhaltliche Abgrenzung: ,,Wir
wollen nicht um jeden Preis wach-
sen, den Fehler haben wir schon ein-
mal gemacht; wir wollen profitabel
wachsen."
Schrempp, so ein Teilnehmer,
,,packte die Leute beim Tagesge-
die in der Automobilindustrie ihres-
gleichen sucht. Der Konzernchef
spricht angesichts der vielen Fehl-
tritte bereits von einem ,,House-of-
Windsor-Syndrom". Schrempp: ,,An-
dere können sich Fehler leisten, wir
nicht."
Hinter der glanzvollen Fassade
von Rekordabsatz (716 000 Pkw)
und internationalen Auszeichnungen
knirscht es mächtig:
Die Auslieferungsqualität von neuen
Mercedes-Limousinen nimmt nach ei-
ner Händlerumfrage der Forschungs-
stelle Automobilwirtschaft an der Uni-
versität Bamberg seit 1994 dramatisch
ab.
Die weit fortgeschrittene Entwick-
lung eines neuen Vierzylinder-Benzin-
motors mußte Ende 1997 gestoppt
werden, weil die Mercedes-Ingenieure
schlicht den technischen Vorsprung
der Japaner bei der Benzin-Direktein-
spritzung übersehen hatten (Beispiel:
Mitsubishi GDI).
Die Planzahlen für Nischenmodelle
wie den Roadster SLK, das CLK-
Coupé oder die M-Klasse liegen zig-
tausendfach hinter den tatsächlichen
Absatzmöglichkeiten; extreme Liefer-
fristen schaffen massenhaft Frust und
Ärger bei der verwöhnten Daimler-
Klientel.
Der Serienstart der A-Klasse wurde
nach der Elch-Test-Blamage zum
spektakulärsten Flop in der Unter-
nehmensgeschichte. Auch die Ein-
führung des ebenfalls instabilen
Stadtflitzers Smart mußte verschoben
werden. Der Bonsai-Benz ist jetzt
frühestens im Herbst 1998 ausge-
wachsen.
Das grobe Mismanagement bei
der A-Klasse und beim Smart kostet
den Konzern allein 1997 und 1998
knapp eine Milliarde Mark. Doch der
Chef spricht von ,,Fehlerkultur" und
läßt, jedenfalls im Vorstand und für
den Augenblick, Milde walten. Sein ei-
genes Debakel mit der Pleite der Flug-
zeugtochter Fokker liegt für einen här-
teren Auftritt wohl noch nicht lange
genug zurück.
So mußte als Warnung an den
Rest der Truppe lediglich der Smart
herhalten. Dort ließ Jürgen Schrempp
schäft". Und bei den Zahlen. Zum
Zeitpunkt des Führungswechsels vor
zweieinhalb Jahren, so der Daimler-
Chef, waren gerade einmal 5 von 35
Geschäftsbereichen profitabel.
Inzwischen verdienen alle vier
großen Divisions ­ Pkw, Lkw, Aero-
space und Dienstleistungen ­ ordent-
lich Geld. Von den 23 übriggebliebe-
nen Geschäftsbereichen waren 1997
nur noch fünf defizitär: die drei Lkw-
Sparten Europa, Antriebsstrang und
Unimog, die Bahntechnikbeteiligung
Adtranz (siehe auch Seite 24) sowie
Smart.
Zumindest die Grundlagen für
den Aufstieg des Konzerns in die inter-
nationale Rendite-Liga sind demnach
geschaffen.
Den ambitionierten Plänen steht
allerdings im wichtigsten Kernge-
schäft, dem mit Personenwagen, eine
Pleiten- und Pannenserie gegenüber,
ZEITENSPIEGEL
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,,Andere können
sich Fehler leisten,
wir nicht",
klagte Daimler-
Benz-Chef Jürgen
Schrempp (l.) über
die traumatischen
Pannen der
vergangenen
Monate. Die
dafür verantwort-
lichen Vorstände
Jürgen Hubbert
(rechts oben)
und Dieter Zetsche
blieben ­ vorerst ­
ungeschoren.

MANAGER MAGAZIN 3/98
S. 15
Manager Magazin 3/98
S. 15

blieben, anders als die Kollegen des el-
sässischen Ablegers Smart, bisher von
Sanktionen verschont.
,,Noch sind wir nicht überall da,
wo wir hin wollen", trieb Schrempp
seine OFKler an, ,,wir müssen Großes
vollbringen wollen und es einfach
tun."
Auch unter neuer Führung, so
scheint es, klafft bei Daimler-Benz
noch eine erhebliche Lücke zwischen
Anspruch und Alltag. Zwischen
,,Schein und Wirklichkeit".
fal
die Führungsmannschaft um Ent-
wicklungschef Johann Tomforde
und Finanzchef Christoph Baubin
feuern.
Beim Führungskräfte-Forum leg-
te der Vorsitzende nach: ,,Es war offen-
sichtlich, daß die Probleme bekannt
waren, aber verschwiegen wurden.
Wir haben daher umgehend personelle
Konsequenzen gezogen."
Das war eine Warnung, die
Schrempp vor allem an die Fahrzeug-
bauer in Untertürkheim richtete. Die
H.-G. O
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,
R. B
R
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,,Was zum Teufel hat ihn getrieben"
Reuter-Erinnerungen: Die negativen Kommentare überwiegen
S
chein und Wirklichkeit" ­ die
Memoiren von Edzard Reuter,

dem ehemaligen Vorstandsvorsitzen-
den der Daimler-Benz AG, sorgten
für Aufsehen, noch bevor sie erschie-
nen waren. Was Reuters grimmiger
Rückblick ,,schwarz auf weiß bietet,
ist kein schöner Anblick. Aber lehr-
reich". So urteilte die ,,Frankfurter
Rundschau", nachdem manager
magazin in seiner Februar-Ausgabe
vorab über das Buch berichtet hatte.
Kollegen und Geschäftspartner,
deutsche und internationale Medien
kommentierten Reuters Erinnerun-
gen. Auszüge:

,,Dieser sich selbst überschätzende
Einfaltspinsel."
Ex-Daimler-Chef Joachim Zahn
im Süddeutschen Rundfunk
,,Einfalt meint, der versteht vom Ge-
schäft nix, und Pinsel bedeutet, der
schwätzt trotzdem scheinbar ge-
scheit daher."
Joachim Zahn in ,,Der Spiegel"
,,Was zum Teufel hat Reuter getrie-
ben, mir angesichts meiner angeb-
lich ekelhaften Charaktereigen-
schaften auch noch eine Stabsstelle
anzubieten, mit dem Ziel, in den
Daimler-Vorstand zu gehen?"
Martine Dornier-Tiefenthaler
in der ,,Stuttgarter Zeitung"
,,Reuter (hat sich) nie zugehörig ge-
fühlt zu dieser Kaste reaktionärer In-
dustrieller ... Reuter rechtfertigt sei-
ne Unternehmenspolitik, und es ge-
lingt ihm auch zum großen Teil."
Ex-Daimler-Sprecher Winfried Münster
in ,,Die Woche"
,,Wir lehnen ein solches Vorgehen von
jemandem, der eine herausragende
Stellung in unserem Unternehmen in-
nehatte, entschieden ab."
Schreiben des Daimler-Benz-Vorstands
an seine Führungskräfte
,,So offen er Schrempp und den AEG-
Managern Fehler anlastet, so vage
bleibt seine Aussage über eigene Irrtü-
mer und Versagen."
Reuter-Biograph Hans Otto Eglau
in ,,Die Zeit"
,,Woher das Magazin das Manuskript
wohl hat?"
Hannoversche Allgemeine Zeitung
,,Man mag das Resultat seiner un-
ternehmerischen Bemühungen als
ziemlich erfolglos betrachten: Hier
ist einer, der sich seinen Kritikern
stellt und auch im nachhinein beim
Austeilen noch keineswegs erlahmt
ist."
Börsen-Zeitung
,,Daß Reuter nur hadert, anstatt sei-
nen Verstand einzusetzen, daß er alte
Rechnungen begleicht, anstatt sich
um ein abgewogenes Urteil zu
bemühen, das verübeln Reuter selbst
wohlgesonnene Leute."
Stuttgarter Nachrichten
,,Sein Buch wird sicherlich nicht
dazu beitragen, Reputation und An-
sehen zurückzuerlangen."
Handelsblatt
,,Es irritiert, wenn Reuter so rechtet
und sich dabei selbst zum auf kläreri-
schen Weltgeist hoch zu Pferd stili-
siert. Haben am Ende doch diejeni-
gen recht gehabt, die zwar seine bril-
lante Intelligenz erkannten, ihn aber
nicht an der Spitze des Konzerns ha-
ben wollten?"
Frankfurter Allgemeine Zeitung
,,Wie zu seiner Zeit als Vorsitzender
weist Reuter heute in seinem Buch
das Argument zurück, daß seine Ex-
pansionsstrategie und seine Vision
vom integrierten Technologiekon-
zern das Unternehmen ins finanzi-
elle Desaster führten."
International Herald Tribune
,,Selbst die Hölle kennt keinen ge-
waltigeren Zorn als den von abge-
halfterten Executives. Doch Edzard
Reuter ... wählte den falschen Mo-
ment, um zurückzuschlagen. Seine
Attacken dürften das Management
ziemlich kaltlassen."
Financial Times
Buchautor Edzard Reuter:
Weltgeist hoch zu Pferd

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